Arthur
Schopenhauer
1788–1860

Arthur Schopenhauer hat in seinem Hauptwerk und philosophischem System, Die Welt als Wille und Vorstellung, im ersten (§ 43) und im zweiten Band (§ 35) je einen Paragraphen der Architektur gewidmet. Der oft daraus zitierte «Kampf zwischen Schwere und Starrheit» als «der alleinige ästhetische Stoff der schönen Architektur» wird seinem Denken dahingehend jedoch nicht ganz gerecht. Seine Erkenntnisse greifen tiefer, denn er ermöglicht abseits der damaligen mathematisch-proportionalen Lehren einen ersten dynamischen Blick auf die Architektur.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band I, Erster Teilband, § 43

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«Kampf zwischen Schwere und Starrheit der alleinige ästhetische Stoff der schönen Architektur: ihn auf mannigfaltige Weise vollkommen deutlich hervortreten zu lassen, ist ihre Aufgabe.»

«[…] daß die Baukunst nicht bloß mathematisch wirkt, sondern dynamisch, und daß was durch sie zu uns redet, nicht etwan bloße Form und Symmetrie, sondern vielmehr jene Grundkräfte der Natur sind.»

«Eine ganz besondere Beziehung haben nun noch die Werke der Baukunst zum Lichte … Daher auch bei Aufführung eines schönen Werkes der Baukunst immer besondere Rücksicht auf die Wirkungen des Lichtes und auf die Himmelsgegenden genommen wird. […] Indem nämlich das Licht von den großen, undurchsichtigen Massen aufgefangen, gehemmt, zurückgeworfen wird, entfaltet es seine Natur und Eigenschaften am reinsten und deutlichsten, zum großen Genuß des Beschauers, da das Licht das erfreulichste der Dinge ist …»

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band II, Zweiter Teilband, Drittes Buch, § 35: Zur Aesthetik der Architektur

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«… das einzige und beständige Thema derselben Stütze und Last, und ihr Grundgesetz, daß keine Last ohne genügende Stütze, und keine Stütze ohne angemessene Last, mithin das Verhältniß dieser Beiden gerade das passende sei. Die reinste Ausführung dieses Themas ist Säule und Gebälk: daher ist die Säulenordnung gleichsam der Generalbaß der ganzen Architektur geworden. In Säule und Gebälk nämlich sind Stütze und Last vollkommen gesondert; wodurch die gegenseitige Wirkung Beider und ihr Verhältniß zu einander augenfällig wird. Denn freilich enthält selbst jede schlichte Mauer schon Stütze und Last: allein hier sind Beide noch in einander verschmolzen. Alles ist hier Stütze und Alles Last: daher keine ästhetische Wirkung. Diese tritt erst durch die Sonderung ein und fällt dem Grade derselben gemäß aus.»

«Demnach ist das Verhältniß der Kolonade zur schlichten Mauer dem zu vergleichen, welches zwischen einer in regelmäßigen Intervallen aufsteigenden Tonleiter und einem aus der selben Tiefe bis zur selben Höhe allmälig und ohne Abstufungen hinaufgehenden Tone wäre, der ein bloßes Geheul abgeben würde. Denn im Einen wie im Andern ist der Stoff der selbe, und nur aus der reinen Sonderung geht der mächtige Unterschied hervor.»

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