Ludwig Mies van der Rohe

1886 – 1969

Mies gehört zu den unangefochtenen Klassikern des 20. Jahrhunderts, was aber nicht viel bedeutet, solange er diesen Rang vornehmlich nur unter Architekten genießt. Ein allgemeiner Geschmack wird in seinen Bauten womöglich nichts weiter erkennen als Stahl-und-Glas-Bauten, wie sie seit dem 20. Jahrhundert zuhauf unsere Welt durchziehen.

Mies hat heute immer noch einiges zu sagen – ungeachtet der nicht abreißen wollenden Publikationen zu seinem Werk. Vor dem Hintergrund seiner vielzitierten und beinahe nichtssagenden, weil zu allem missbrauchbaren, Sätze wie «less is more» oder «Gott steckt im Detail» ist er eigentlich ein verkannter Baumeister und der Schlüssel zum Verständnis seines Bauens bis heute eigentlich nicht gehoben. Viele seiner schlagenden Aussagen sucht man in den einschlägigen Monographien vergebens, die zu seinem eigentlichen Kern leiten: die Symbolik der klaren Konstruktion, wenn sie zur Struktur ausgebildet wird.

Mies van der Rohe ist bis heute verkannt. Das äußert sich auch darin, daß das meiste, was mit dem «Mies van der Rohe Award» bepreist wird, seinem Geiste und Werk Hohn spricht.

Gesinnung

«Ich will nicht interessant sein. Ich will gut sein.» | 165

«Ich wollte wissen, was Architektur wirklich ist.» | 267 f.

«Ich baue weder für mich selbst noch für meinen Kunden. Ich baue um der Architektur willen.» |316

«Ich will nicht machen, was mir Spaß bereitet. Ich will das tun, was richtig ist.» | 342

«Ich hoffe, Sie werden verstehen, dass Architektur nichts mit der Erfindung von Formen zu tun hat. Sie ist kein Spielplatz für Kinder, seien es kleine oder große. Architektur ist der wirkliche Kampfplatz des Geistes.» | 135

«Ich bin kein Reformer, ich will die Welt nicht ändern. Ich will ihr Ausdruck verleihen. Das ist alles, was ich will. Diese Ideen, wissen Sie, es gibt Soziologen oder andere Leute, die uns immer sagen, was wir tun müssen, dabei müssen wir doch wissen, wie man baut, und ihre Programme oder feierlichen Erklärungen oder wie man auch sagen möchte, variieren das dann bloß oder geben ihm ein bisschen Farbe. Aber sie können nicht sagen, dass es gemacht werden muss, und dabei muss es gemacht werden, es verändert sich so schnell.» | 244

«Ich hatte keine Architekturausbildung im herkömmlichen Sinn. Ich arbeitete unter ein paar guten Architekten; ich las ein paar gute Bücher – und das war’s auch schon.» | 318

Verhältnis zur Architekturgeschichte

«Wenn man ernst lebt und arbeitet, dann steht man in der Tradition.» | 310

«Ich war ja noch wirklich jung, wissen sie, noch keine zwanzig Jahre alt, und die Kraft dieser alten Bauten beeindruckte mich, sie ließen sich ja nicht mal einer Epoche zurechnen. Und doch gab es sie seit tausend Jahren, und sie waren immer noch da, und nach wie vor beeindruckend, unabänderlich, nicht wahr. Und all die Stile, die großen Stilrichtungen, vergingen, die Bauwerke aber blieben bestehen – und büßten an nichts ein.
[…]
Wissen sie, als ich in die Niederlande kam, hatte ich das Glück, auf die Bauten von Berlage zu stoßen – die Art und Weise, wie sie konstruiert waren beeindruckte mich am meisten; was er aus dem Ziegelstein machte, seine Aufrichtigkeit im Umgang mit dem Material, und so weiter. Ich werde nie vergessen, was ich dort alles lernte, einfach nur, indem ich seine Bauten betrachtete […]. | 163

Konstruktion — STRUKTUR — SYMBOL

«Und dort lernte ich die Arbeit von Berlage kennen. Und er war ein Mann von freimütiger Ernsthaftigkeit. Er arbeitete. Und er forderte gute Arbeit ein. Er akzeptierte nichts Gekünsteltes. Das machte es für mich klarer, dass diese ernsthafte Arbeit eigentlich die Grundlage der Architektur ist. Von da aus gelangte ich zur Idee der Struktur, denn er sagte, es sollte nichts gebaut werden, das nicht wirklich klar konstruiert ist. Und er hielt sich daran. Er setzte das so konsequent um, dass sein berühmtes Bauwerk in Amsterdam – die Börse – eine mittelalterliche Anmutung hat, ohne mittelalterlich zu sein. Aber er verwendete den Backstein so, wie das die Leute im Mittelalter taten. […] Aber die Idee einer klaren Konstruktion als ein grundlegendes Prinzip, das es zu beherzigen gilt, kam mir dort. Nun ist das aber leichter gesagt als getan. Um das umzusetzen, muss man mit Leuten arbeiten. Und die Leute wollen dieses und jenes haben und so weiter. Und da ist es sehr schwer, an der grundlegenden Konstruktion festzuhalten und sie dann zum Strukturprinzip zu erheben. Zur Klarstellung muss ich sagen, dass Sie im Englischen alles Mögliche als Struktur bezeichnen. In Europa macht man das nicht. Bei uns heißt eine Bretterbude Bretterbude und nicht Struktur. Für uns war Struktur eine philosophische Konzeption. Die Struktur ist ein Ganzes, von oben bis unten, bis ins letzte Detail – mit einer einheitlichen Vorstellung. Das nennen wir eine Struktur. Ich weiß, das wird sehr oft missverstanden, dass man denkt […] wissen Sie, ich würde Doppel-T-Träger verwenden, bloß weil ich es so will – niemand sonst sei daran noch irgendwie beteiligt. Aber das is nicht die richtige Vorstellung von Struktur. Es gab jedoch noch andere […] andere Dinge, die wichtig waren. Selbst wenn das zutrifft – warum wurde diese Konstruktion [..] warum die Konstruktion überhaupt ändern? Und ich versuchte zu verstehen […] wie das passieren konnte. Und ich muss sagen, dass sich die Struktur nur auf der Grundlage einer richtigen Konstruktion errichten lässt […] einer richtigen Konstruktion, ich meine einer Struktur von heute und nicht von gestern oder aus der Vergangenheit.» | 235 f.

«Die Konstruktion ist die wahre Hüterin des Zeitgeists, da sie objektiv und unbeeinflusst von persönlichen Allüren oder Phantasiegebilden ist. Die Idee einer klaren Konstruktion ist einer jener Grundsätze, die wir akzeptieren sollten. Das ist leichter gesagt als getan; es ist nicht einfach, sich an ein grundlegendes Konstruktionsprinzip zu halten und es dann in eine konkrete Struktur zu übersetzen.
Architektur beginnt damit, dass zwei Backsteine sorgfältig zusammengefügt werden. Die Architektur ist eine Sprache mit eigener Grammatik. Im Alltag kann man die Sprache als Prosa verwenden. Wenn man das sehr gut kann, spricht man eine wunderbare Prosa. Und wenn man ein Virtuose ist, kann man es zum Dichter bringen. Es ist jedoch dieselbe Sprache, die sich dadurch auszeichnet, dass sie all diese Möglichkeiten besitzt.» | 298

«Aus meiner Sicht sind heute zwei generelle Tendenzen am Werk. Die eine hat eine strukturelle Grundlage, und man könnte sagen, sie ist objektiver. Die andere hat eine plastische Grundlage, die man als emotional bezeichnen könnte. Beide können unmöglich miteinander vermischt werden. Die Architektur ist kein Martini. Ich gelange immer mehr zu der Überzeugung, dass die Architektur eng mit den treibenden und tragenden Kräften einer Epoche zusammenhängt und dass sie im besten Fall nichts anderes sein kann als ein Ausdruck dieser Kräfte; sie ist keine Mode und auch nichts für die Ewigkeit, sie ist Teil einer Epoche. Eine Epoche zu verstehen heißt, das zu verstehen, was sie in ihrem Wesen ausmacht, und nicht alles, was man sehen kann. Aber was in einer Epoche wichtig ist, ist sehr schwer herauszufinden, weil sich die große Form nur sehr langsam entfaltet. Die große Form kann weder von Ihnen noch von mir erfunden werden, aber wir arbeiten an ihr mit, ohne sie zu kennen. Und wenn diese große Form vollständig verstanden wird, dann ist die Epoche vorbei – dann gibt es etwas Neues.» | 305 f.

«Ein guter Bau, glaube ich, verlangt eine klare Konstruktion. Dann kann man auch von dort aus alle Details bestimmen. Denn die Details müssen in einem guten Bau im Zusammenhang mit dem Ganzen stehen, und sollten nicht irgendeines Effektes wegen überwiegen. Ich glaube, daß die eigentliche Baukunst darin besteht, daß eine große Harmonie vom Hauptgedanken bis zu den letzten Details sein wird. Die Gotik macht es doch eigentlich ganz klar; deren Details waren eigentlich nur Mittel zur Verdeutlichung der eigentlichen Grundidee.» | 325

«Ich glaube, die Flexibilität ist eigentlich das Wichtige und Charaktervolle an unseren Bauten. Nicht mehr der Ausdruck der Funktion.
Die Konstruktion folgt ihren klaren Gesetzen und kann gar nicht mehr erreichen. Aber wenn die Konstruktion zu einem Ausdruck erhoben wird, daß man ihr einen Sinn gibt, dann hat man eigentlich schon über Struktur zu sprechen. Die Konstruktion erfüllt eigentlich einen Zweck, und die Struktur gibt diesem Sachverhalt einen Sinn.» | 326

«Mich interessiert eine klare Struktur. Ob das mit Knetgummi gemacht wird oder was, das ist mir vollkommen egal. Die Tatsache das Beton sich für alles was die Leute sich so denken, für alles möglich ist, wie eine knetbare Masse – das ist aber gar nicht der Fall. Wenn man eine klare Struktur will, dann muss man ihn wirklich also strukturell benutzen. Man kann ihn auch anders benutzen, aber das tue ich nicht. Ich will ja eine Struktur, strukturelle Architektur haben, weil ich finde, das ist das Einzige, wo wir eine wirkliche Fühlung mit der Essenz unserer Zivilisation haben können.» | 329

«Mich interessierte strukturelle Architektur, mich interessierte die Romanik, mich interessierte gotische Architektur. Diese werden oft missverstanden. Ein Dompfeiler, wissen Sie, ist auch mit seinen Profilen noch eine sehr klare Struktur. Die Feinheiten sollten das Ganze klarer machen, sie waren nicht als Schmuck gedacht, sondern zur klareren Gestaltung.» | 376 f.

«Da es nicht nur um einen Zweck, sondern auch um eine Bedeutung geht, da es nicht nur um Funktion, sondern auch um Ausdruck geht.» | 156

Freier Grundriss & Freie Wandscheibe

«Wissen Sie, die Leute denken, dass wir mit dem offenen Grundriss alles machen können – aber so ist es nicht. Er entspricht lediglich einer anderen Raumauffassung. Das Problem des Raumes wird Ihre Lösungen begrenzen Chaos ist kein Raum. Ich habe bei meinen Studenten oft beobachtet, dass sie mit der freistehenden Wand umgehen wie mit etwas, dass man einfach aus der Tasche zieht und irgendwohin packt. Das ist nicht die Lösung für den Raum. Das wäre kein Raum.» | 129 f.

«Ich will Ihnen doch eine Geschichte zum Barcelona-Pavillon erzählen, die Sie vielleicht interessieren wird. Eines Abends, als ich spät noch an den Entwürfen zu diesem Bau saß, fertigte ich eine Skizze einer freistehenden Wand an, und mich traf der Schlag. Ich wusste, dass es sich dabei um ein neues Prinzip handelte.» | 131

Zitationen aus:

Ludwig Mies van der Rohe: Gesammelte Schriften. Berlin: Merve, 2022

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