Karl Friedrich Schinkel

1781 – 1841

Dem preußische Baumeister wurde oft vorgeworfen, sich in seiner Anpassungsfähigkeit des willkürlichen Eklektizismus schuldig gemacht zu haben, während er auf der anderen Seite aufgrund seiner großen Neuerungen für die Baukunst immer wieder für modernistische Dogmen vereinnahmt wurde.

In seinem leider Fragment gebliebenen «Lehrbuch» legt er seine Gedanken zur Baukunst dar, oft nur in andeutenden und stammelnd-notizhaften Sätzen, doch immerhin ist darin seine Architekturtheorie aufbewahrt. Bedeutend hervorzuheben ist Schinkels Grundsatz des «Lebens» im (Bau)Kunstwerk, sowie der tektonischen Einstellung der Konstruktion anhand des Gefühles.

Es folgen kurze Auszüge aus seinem nie vollendeten «Lehrbuch»:

In der Baukunst muß wie in jeder Kunst Leben sichtbar werden, man muß die Handlung des gestaltens der Idee sehn, und wie die ganze bildliche Natur ihr zu Gebothe steht und sich hervordrängt herandrängt um ihrem Willen zu genügen. Das Werk der Baukunst muß nicht dastehn als ein abgeschlossener Gegenstand, die echte wahre Imagination die einmal in den Strom der in ihm ausgesprochenen Idee hineingerathen ist muß ewig von diesem Werk aus weiter fortgestalten und ins unendliche hinausführen. Es muß dasselbe als den Punkt betrachten von welchem aus ganz in der Ordnung ausgegangen werden kann in die unzertrennliche Kette des ganzen Universum. Ein Streben, ein Sprossen, ein Crystallisiren, ein Aufschießen, ein Drängen, ein Spalten, ein Fügen, ein Drücken, Biegen, Tragen, Setzen, Schmiegen, Verbinden, Halten, ein Liegen und Ruhn welches letztere aber hier im Gegensatze mit den bewegenden Eigenschaften auch absichtlich sichtbarlich angeordnet und in so fern auch als lebendiges Handeln gedacht werden muß, dies sind die Leben andeutenden Erfordernisse in der Architectur. | 32

[…] statt weitläufiger philosophischer Begründung soll hier das reine Gefühl bei unmittelbarer Anschauung in Anspruch genommen werden, um Resultate zu erhalten.
Die Architectonischen Verhältnisse beruhen auf ganz allgemeine statischen Gesetze, werden aber erst recht bedeutend durch die Beziehung und Analogie der persönlichen Existenz des Menschen zunächst oder ihm ähnlich gebildeter und organisirter Wesen der Natur, denen immer die statischen Gesetze mechanischen Gesetze zum Grunde liegen, […].
| 45 f.

Durch die Characteristik der sichtbaren Konstruktionstheile erhält das Bauwerk etwas Lebendiges, die Theile handeln zweckmäßig gegeneinander, unterstützen sich und wenn man ihnen ansieht, daß jeder seine Schuldigkeit thut, so entsteht eine befriedigende Empfindung die den Begriff der Ruhe, der Festigkeit, der Sicherheit mit sich bringt. Der producirende hat also an der Konstruktion das nächste und sicherste Criterium für eine angemessene Haltung, Characteristik seiner Architectur. | 58 f.

Um das Bauwerk schön zu machen ist die Annahme folgenden Grundsatzes unerläßlich:
Von der Konstruction des Bauwerkes muß alles Wesentliche sichtbar bleiben. […] Durch die Characteristik der sichtbaren Konstruktionstheile erhält das Bauwerk etwas Lebendiges, die Theile handeln zweckmäßig gegeneinander, unterstützen sich und wenn man ihnen ansieht, daß jeder seine Schuldigkeit thut, so entsteht eine befriedigende Empfindung die den Begriff der Ruhe, der Festigkeit, der Sicherheit mit sich bringt. Der producirende hat also an der Konstruktion das nächste und sicherste Criterium für eine angemessene Haltung, Characteristik seiner Architectur.
| 58 f.

Nur da wo nach dem auf die einfachste Weise wirkenden Gesetze der Schwere eine Bewegung gehemmt wird durch eine Masse die auf die Masse des ganzen Erdballs gründet u[nd] letzten mit zum Widerstande benutzt, ist unserm Gefühl nach vollkommene Ruhe. Überall wo andre Richtungen wirkender Kraft z. B.: der Seitendruck, eintreten und die hemmende Kraft künstlich erzeugt werden muß durch Massen die eben in dieser Richtung nicht die ganze Erdmasse zur Hülfe haben sondern an die Luft grenzen u[nd] gegen diese hinausgepreßt werden können, wenn sie nicht mächtig genug sind, da bleibt immer für unsre Vorstellungsart eine gewisse Handlung Bewegung pp keine vollkommene Ruhe. Hierin liegt der Unterschied zwischen Gewölb u[nd] geradegedeckten Constructionen, ihrem Character nach. Nun giebt es Erfahrungssätze die sich dem allgemeinen Sinn als natürlich mittheilen, welche in das Verhältniß der Massen, die Sicherheit geben können, eintreten und jemehr z. B.: gebaut und gewagt wird desto geringer werden die Massenverhältnisse werden, indeß bleibt deßhalb desto größer die Wirkung einer scheinbaren Bewegung. Daher muß Bewegung gegen Bewegung gesetzt werden um Ruhe zu erzeugen die doch nicht die Ruhe ist welche durch einfache Bewegung, gegen eine ruhende Masse erzeugt wird. | 59

In der Architectur sind die Theile welche den Character eines bestehenden ruhenden beständigen Seyns tragen von denen zu unterscheiden welche handelnd dastehn, erstere sind (Skizzchen: liegendes Quadrat) die anderen sind die strebenden, drückenden, die sich anschmiegenden, die trennenden, die übergehenden, die schwellenden, die sich biegenden. | 70

Ruhe Hauptbedingung zum Schönen. Ebenso wie Lebendigkeit Leben u[nd] Mannigfaltigkeit eben so ist Ruhe u[nd] Einheit Haupt-Bedingung des Schönen.
Balance zwischen Handlung u Ruhe (Geschlossene Handlung) […] Die Baukunst fordert vor allem Ruhe. […] Das ruhigste ist der Bau der Säule u[nd] Architrav oder (kleines skizziertes stehendes Rechteck). Der Halbkreisbogen bringt schon Beunruhigung hinein, führt aber zur Ruhe zurück. Der Spitzbogen behält, weil er die streitenden Kräfte sichtbar macht u aus unvollendeten Elementen besteht, völlige Unruhe. | 70 f.

Der Zweck architectonischer Glieder ist der, bei allen Gegenständen der Architectur: das Ganze oder die Theile zu begrenzen, zu endigen und zu vollenden, das Einzelne zu scheiden, es kräftiger hervorzuheben, oft das Breite der Masse zu theilen, oft geteilte Massen durch Gürtungen zu verbinden. Die Anwendung der Glieder findet sich hiernach am Fuß der Gebäude und an ihrer Endigung im Gesims; am Fuße der Säulen und am Kapitäl derselben; an Thüren und Fenstern als Umschließung; in der Mitte der Massen als Trennung der Geschosse oder zur Bezeichnung anderer Abtheilungen. | 83

Um irgend ein Anhalten in dem weiten Felde der Architectur unserer Zeit zu gewinnen, wo die Verworrenheit oder der gänzliche Mangel an Principien in Beziehung auf Styl überhand genommen und unter der unendlichen Masse des auf der Welt in verschiedenen Epochen Entstandenen, die Critik für die Anwendung sehr schwer wird, spreche ich folgenden Hauptgrundsatz aus:
Architectur ist Construction
In der Architectur muß alles wahr sein, jedes Maskiren, Verstecken der Construction ist ein Fehler. Die eigentliche Aufgabe ist hier jeden Theil der Construction in seinem Charakter schön auszubilden.
In dem Worte -schön- liegt die ganze Geschichte, die ganze Natur, das ganze Gefühl für Verhältnisse. Kurz aller selbst der trivialen Zweckmäßigkeit, die zu gleicher Zeit nie fehlen darf wenn gleich sie mit höherer und weniger hoher Einsicht ausgedeutet werden kann. […]
Den zweiten Hauptgrundsatz für stylvolle Architectur leite ich aus folgender Betrachtung ab:
Jede vollkommene Construction in einem bestimmten Material hat ihren ganz entschiedenen Character und würde in keinem anderen Material auf die gleiche Weise, vernunftgemäß ausgeführt werden können. Dieses individuelle Ausschließen der einen von der anderen, verbiethet jede völlige Vermischung der Constructionen in verschiedenen Materialien, wobei immer die eine, der inneren Vollendung u Vollkommenheit der anderen schaden, auch die Einfachheit für die Auffassung des Beschauers verloren gehen würde.
= In einer stylvollen Architectur sei daher jede, aus bestimmtem Material erzeugte Construction rein in sich selbst abgeschlossen und vollendet. Sie bestehe neben oder auf der anderen, aber ohne sich mit dieser zu vermischen, sie bleibe selbständig in sich und trage ihren vollen Character. Die Kunst modifizire das Werk der einen Construction so, daß die nach ihrem Material in entschiedenem anderen Character gehaltene Construction, darauf oder daran einen bequemen, vernunftgemäßen Anfangspunkt, oder Anschlußpunkt gewinnt, von diesem ab aber sich ganz selbständig erzeugt und in sich ein vollendetes Ganze zu bilden im Stande ist.
| 115 f.

Zur Architectur.-/(Haupt=Princip.)/
– Jede Construction sey rein, vollständig, in sich selbst abgeschlossen. | 117

Besonders ward mir klar, daß in dieser Willkürlichkeit des Gebrauchs der Grund großer Characterlosigkeit und Styllosigkeit zu finden sey, woran so viele neue Gebäude zu leiden schienen.
Es ward mir eine Lebensaufgabe hierin Klarheit zu gewinnen. Aber je tiefer ich den Gegenstand durchdrang je größer sah ich die Schwierigkeiten die sich meinem Bestreben entgegenstellten. Sehr bald gerieth ich in den Fehler der rein radicalen Abstraction, wo ich die ganze Conception für ein bestimmtes Werk der Baukunst aus seinem nächsten trivialen Zweck allein und aus der Konstruction entwickelte, in diesem Falle entstand etwas Trockenes, starres das der Freiheit ermangelte und zwei wesentliche Elemente: das Historische und das Poetische ganz ausschloß. | 150


Karl F. Schinkel: Das Architektonische Lehrbuch. Bearbeitet von Goerd Peschken. Hrsg. von Margarete Kühn. München: Deutscher Kunstverlag, 1979
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