Das «Warte Haus» in Landshut von Max Otto Zitzelsberger

Eine Architekten-Bushaltestelle, – oder: Wie wir unsere Städte besitzen können

Als in Landshut vor den historischen Fassaden des Bismarckplatzes eine Bushaltestellen-Überdachung errichtet werden soll, interveniert der Denkmalschutz und verlangt eine gesonderte Baulösung. Die Direktbeauftragung geht an den jungen Münchener Architekten Max Otto Zitzelsberger.

Bild: www.maxottozitzelsberger.de; Photograph: Sebastian Schels

Zeugnisse und
Er-Zeugnisse

Nördlich der Landshuter Altstadt, über die große und kleine Isar hinüber, steht ganz unscheinbar das «Warte Haus» des Architekten Zitzelsberger mit seinem Uhrenturm auf dem Bismarckplatz vor der alten Zisterzienserinnen-Abtei Seligenthal. Es steht nicht etwa direkt am Bussteig, wie das Bushaltestellen für gewöhnlich tun, sondern abgerückt und parallel zur umfassenden Bebauung. Diese subtile städtebauliche Setzung eröffnet bereits die Frage, ob solch ein Zweckbau Architektur und somit der Stadt zugehörig sein darf, oder, ob sich sein Dasein lediglich im Bedienen des abstrakt formulierten Zweckes des «wind- und wettergeschützten Fahrgastes» erschöpft.

Die sorgfältige Widmung, die die sonst so wenig beachtete Typologie «Bushaus» hier in seiner detaillierten Ausgestaltung erfährt, erschließt den Weg zur allgemeinen und übergeordneten Problematik: Sind wir als Gesellschaft bereit, uns den Anspruch zu setzen, unsere überkommenen Städte mit den geforderten Bauaufgaben unserer Zeit wirklich weiterbauen zu wollen? Zu dieser Frage ließ bereits Goethe den Faust die Erkenntnis fassen: «Was du ererbt hast von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.», – und wir müssen eingestehen, dass das wertvolle Erbe der überkommenen Städte nur wirklich unser ist, wenn wir bereit sind, den ökonomischen Mehraufwand – wenn er denn in der Tat einer ist – in Kauf zu nehmen, den ein qualitativ ebenbürtiges Weiterbauen abverlangt. Ansonsten geraten unsere Altstädte zu musealen Orten, denen dann entweder das nostalgische Bewahren oder der unbeholfene Eingriff alle Lebendigkeit rauben muss.

Gesellschaft, Politik und Architektenschaft stehen vor der Wahl, ob sie den baulichen Erzeugnissen einen architektonischen Ausdruck mitgeben möchten, der vor althergebrachten Zeugnissen bestehen kann, oder, ob die Rationalisierung und Abstraktion die Feder führt. Dabei sind jedoch ökonomische Hürden durchaus zu bezweifeln, sondern die Ursache dafür eher in der fehlenden Sensibilität für Ort und Nutzer zu vermuten. Denn oft führen die kostenintensivsten Anstrengungen zu den enttäuschendsten Ergebnissen, wie so manches Prestigeprojekt schmerzlich lehren musste.

Bild: www.maxottozitzelsberger.de; Photograph: Sebastian Schels

Bushaltestelle oder »Warte Haus«?

Mit dem Abkehren vom Bussteig und dem Freistellen des Uhrenturmes beansprucht das Warte Haus selbstbewusst seinen Platz im Stadtraum. Als willkommener Nebeneffekt ermöglicht ersteres das entspannte Entgegenblicken zum anfahrenden Bus und exponiert den Nutzer nicht unmittelbar zur lärmenden Straße. Er kann sich in Würde dort aufhalten, ohne in den geradewegs bedauernswerten Stand des Wartenden degradiert zu werden.

Der entschlossenen städtebaulichen Haltung will auch die Ausgestaltung genüge tun, der laut Architekten die Industriekultur und Stadtmobiliar des 19. Jahrhunderts Vorbild gewesen sind. Dem kleinen Maßstab und der Nähe seines Nutzers entsprechend zeigt es sich in einem feingliedrigen und filigranen Metallfachwerk, dessen ornamentale Ausformulierung eine körperliche Präsenz erzeugt, an der auch die schwere, dunkelrote Farbe nicht unbeteiligt ist.

Trotz seiner geringen Größe strahlt der Bau eine Wertigkeit aus, die sich deutlich abgegrenzt wissen will von der gemeinen »Bushaltestelle«, auf welchen Umstand der Architekt mit der wohl bedachten Betitelung »Warte Haus« abzielt. Der Anspruch »Haus« verlangt als in sich abgeschlossene Einheit von vornherein andere Voraussetzungen als der flüchtige Charakter einer Überdachung. So bringt das Warte Haus die eigene Funktionalität geradezu mit Naivität zum Ausdruck und eröffnet innerhalb seines beschränkten Wirkungskreises seine eigene Lebenswirklichkeit:

– Der Uhrenturm steht frei und stellt im Verbund mit dem Warte Haus ein kleines, in sich abgeschlossenes Ensemble dar.
– Die Aussteifung der Metallständer besorgen ornamentale Verstrebungen, deren Rautenmuster eigentlich nur pragmatisch die Knicklänge des Flachstahls halbiert (deren Verdienst ist es zudem, dass wir die bereits widerwillig akzeptierten Glasaufkleber nicht zu erblicken haben, durch die man der Unfallgefahr im Verglasungswahn beizukommen sucht).
– Die Metallverbindungen sind weder geschweißt oder mit Senkschrauben ausgeführt, sondern stellen die Fügungen durch Schraubenköpfe offen zur Schau.
– Der Lack ist handgestrichen und möchte gar nicht in Wettbewerb treten mit dem Ebenmaß einer Lackierung oder Strahlung, sondern stattdessen eine lebendige Oberfläche erzeugen.
– Das mit gefalztem Kupferblech gedeckte Walmdach tritt als fünfte Fassade in Erscheinung, die den Ausblick der höher liegenden Anwohner zu ihrem Recht kommen lässt.
– Die statisch völlig entbehrlichen Kopfbügen verknüpfen das Stützenwerk semantisch mit dem weit auskragenden Dach, welches, unterseitig mit Holz beplankt, beinahe eine wohnliche Atmosphäre erzeugt.
– Die kupferne Rinne lässt das Regenwasser zu den Stirnseiten aus Speiern auf das Pflaster ab, wo die gesandeten Fugen mit der Zeit ausgespült werden.
– Das Warte Haus will also nichts wissen von verdeckten Fügungen, innenliegender Entwässerung und einer möglichst reinen, von der Zeit unberührbaren Optik, so wie es heutzutage eigentlich ausgemachte Sache im Kreis der Architektenzunft zu sein scheint.

Außer des leider nur schwer zu reinigenden Glases hinter dem engmaschigen Fachwerk ist zuletzt bemerkenswert, dass nach fast zwei Jahren der Standzeit kein nennenswerter Vandalismus am Warte Haus auszumachen ist, wie er gewöhnliche Haltestellen oft heimsucht und allgemein als Problem bekannt ist. Den stadtsoziologischen Aspekt von aufmerksam gestaltetem Stadtmobiliar gelte es hier im weiteren zu untersuchen, insbesondere aufgrund des ökonomischen Vorteils seiner Mehrkosten, die sich durch das Vereiteln mutwilliger Zerstörungen bezahlt machen.

Bild: www.maxottozitzelsberger.de; Photograph: Sebastian Schels

Einzelanfertigung oder bereit zur Serienproduktion?

»Ein öffentliches Bauvorhaben ohne offenen Wettbewerb und dann auch noch 55.000 Euro Steuergelder für eine Bushaltestelle!« – so mag eine durchaus berechtigte Kritik aus einem demokratischen Verständnis heraus lauten, denn ein herkömmliches Modell dieser Gattung kostet lediglich ein Zehntel der Bausumme und erfüllt den vorgegebenen Zweck sicherlich ebenso gut. Ausgleichend sei bemerkt, dass konventionelle Überdachungen ebenfalls nicht durch Wettbewerbe auserkürt werden, sondern allein Wirtschaftlichkeit die Parameter bestimmt. Die vergleichsweise hohen Kosten für das Landshuter Warte Haus sind jedoch vor dem Hintergrund eines prototypischen Entwurfes zu betrachten. Trotz seines Status einer Einzelanfertigung wäre es sofort bereit für die Produktion in Serie, zu der seine Herstellung aus Halbzeugen und automatisiertem Laserschneiden die Voraussetzung schafft.

Parallel dazu hat der Architekt den Entwurf in modularer Bauweise erdacht, die die Variation verschiedener, an den jeweiligen Standort angepasster Typen denkbar macht. Die Vervielfältigung solch ausgestalteten Mobiliars im ganzen Stadtbereich ließe die Kosten pro Einheit wiederum deutlich sinken und trüge insbesondere durch den Wiedererkennungswert zur städtischen Identität bei. Das wäre die unaufgeregte Antwort zur allgemeinen Tendenz, aus der Tristesse solcher Funktionsbauten medienwirksame Rummel-Attraktionen zu machen, wie dies oft zu beobachten ist, sobald ein professioneller Gestalter sich einer solchen Aufgabe bemächtigt hat und den Geltungsdrang in Legislaturperioden denkender Politiker in seinem Rücken weiß.

Bild: www.maxottozitzelsberger.de; Photograph: Sebastian Schels

Das gute Beispiel als Pionierleistung

Mit Projekten wie dem Warte Haus bekommt der Bürger vor Augen geführt, dass es tatsächlich möglich ist, ansprechendes Stadtmobiliar herzustellen und infolgedessen möchte er diese ästhetische Empathie auch für seine Umgebung und sein Gemüt beanspruchen. Daher ist es vergebens, angemessener Stadtgestaltung durch politische Maßnahmen beikommen zu wollen, die als formale Muster ebenso den Feind aller lebendigen Entwicklung darstellen müssen. Vielmehr kann die Pionierarbeit guter Beispiele – wie es das Warte Haus ist – eine Interessengruppe seiner Befürworter erwecken, die Einfluss auf den Markt der Stadtgestaltung nehmen kann. Insbesondere die Nutzerschaft muss also den hohen Anspruch an den Stadtbau stellen und darf das Feld nicht den gestalterischen Affronts bezugsloser Planungsinstanzen überlassen.

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